Potosí

 

So – nun geht es wirklich weiter Richtung Potosí – der berühmten Minenstadt. Am Weg hätten wir noch so gerne die großen Dinosaurier Fußabdrücke gesehen, die man auf dem Gelände einer Fabrik gefunden hat – leider ist montags geschlossen.

 

Am Nachmittag kommen wir in Potosí an. Die Stadt ist in Hügeln gebaut, direkt dahinter ragt der „Cerro Potosí“ hervor, der durchlöcherte Hausberg. Silber findet man hier kaum mehr, daher hat der Staat den Abbau hier aufgegeben. Die Mineros haben diese Entscheidung aber nicht akzeptiert und arbeiten nach wir vor – ohne vernünftige Werkzeuge und Sicherheitsvorkehrungen weiter. In Cooperativen zusammen geschlossenen, arbeiten die einzelnen Gruppen nebeneinander untertage – und um einen Overlander zu zitieren, den wir am Weg getroffen haben – „und beuten sich nun selbst aus“.

 

 

Wir umfahren die Stadt und versuchen vom Süden zu dem Parkplatz zuzufahren, der wohl als einziger für große Fahrzeuge geeignet ist. Die alte Innenstadt von Potosí hat ebenso UNESCO Weltkulturerbe Status und die Straße sind dementsprechend verwinkelt und schmal. An so manchen Kreuzungen verzweifeln wir, da wir erst mit 2x Reversieren um die Kurve kommen, um dann knapp am nächsten Balkon in Augenhöhe vorbei zu schrammen. Als wir am besagten Parkplatz ankommen, ist dieser zum einen gerammelt voll und der kleine Junge, der hier „aufpasst“ scheint weder zu wissen, ob und zu welchem Preis wir hier Platz finden können. Unser Blick wandert über das schmale Areal, in dem PKWs, Pick-ups und große Wägen scheinbar ohne System kreuz und quer bis zum Ausgang stehen. Da es hier auch keine öffentlichen Parkplätze vor dem Einfahrtstor gibt stellen wir uns kurzerhand auf den sehr breiten Gehsteig davor und warten mal – das geht immer, soviel haben wir von der Mentalität auf diesem Kontinent schon verinnerlicht. Als wir da so sitzen und warten und schauen und warten im Zebra, werden wir auf eine Art „Plätschergeräusch zu unserer Linken aufmerksam...hier hockt doch tatsächlich eine Indigena mit gerafften Röcken und pinkelt uns gegen den Vorderreifen (Notiz an uns selbst: Gizmo darf ab jetzt gegen JEDEN Autoreifen pinkeln). Die anfängliche Fassungslosigkeit wird von einem Lachkrampf abgelöst und mitten drin parkt vor uns ein Kleinbus und Koni und Lisa springen raus. Was zu zweit geht, geht auch zu viert und wir warten gemeinsam. Die mehrmaligen Versuche der Polizei, uns zu vertreiben wehren wir mit Entschlossenheit und breitem Salzburger Dialekt ab – beides schwer handlebar für die Herren.

 

Kurz vor Dunkelheit dürfen wir dann endlich in den Parkplatz fahren – der Großteil der Tagesparker ist weg und wir finden einen Platz. Sowohl die Sanitäranlagen als auch der Wohnbereich der betreuenden Familie ist so ziemlich das schlimmste, was wir seit langem gesehen haben – und zwar nicht, was den Standard, sondern was die Reinlichkeit betrifft. In der Wohnküche hatten wir dem Geruch nach ursprünglich die Katzen- und Hundetoilette vermutet. Das „arme Schwein“ von Haushund wurde von der örtlichen Hundegang auf dem eigenen Gelände im Vorbeigehen verprügelt, leider sieht er auch so aus, als ob das regelmäßig passieren würde. Wer Tiere mag und/oder selbst eines hat, der tut sich mit solchen Situationen extrem schwer – einmischen macht hier einfach keinen Sinn. Derweil kommt Lisa mit geschocktem Gesichtsausdruck vom WC zurück und von ihr wissen wir, dass sie wirklich nicht zimperlich ist. Haimo ist neugierig und kehrt mit dem gleichen Gesichtsausdruck zurück zu uns. Das ist nun einer der sehr sehr seltenen Momente, in dem ich mein „Heiligtum“, unsere kleine Bord-Toilette anbiete.

 

Um schneller zu vergessen sieht der Plan ein paar Bier und eine gute kulinarische Unterlage vor. Wir marschieren also in die Stadt, bummeln fotografierend über die schöne Plaza und finden schließlich ein nettes Lokal.

 

 

Am nächsten Morgen läutet der Wecker etwas früher als gewöhnlich – wir alle 4 haben eine Minen-Tour gebucht – wir wollen uns der Realität stellen und sehen, wie die Arbeit der Mineros hier aussieht – ohne staatliche Unterstützung, nur mit Handwerkzeug wie im Mittelalter. In Potosí findet man zwar keine gute Touristeninformation, dafür aber unzählige Touranbieter bzw. organisieren einige der Kooperativen ihre Touren selbst und lassen den Mineros so wieder direkte Hilfe zukommen. Bei einer derartigen Kooperative haben auch wir gebucht – Antonio, selbst ein ehemaliger Minero, hat nicht nur viel Hintergrundwissen, sondern besitzt auch eine große Portion Humor. Unsere 10köpfige Gruppe ist bunt zusammengewürfelt und besteht aus ein paar Chilenen, Europäern und US-Amerikanern.

 

Erster Stopp unserer Tour: Adjustierung. Wir alle werden eingekleidet und mit Helm, Gummistiefeln (inklusive Plastiksack als „Anti-Mushroom“ – O-Ton Antonio) und Lampe ausgestattet. Außerdem bekommen wir Minenrucksäcke, in die später die Geschenke für die Mineros eingefüllt werden und Wasser für uns. Bevor wir zur Mine fahren, besuchen wir den „Mercado Minero“. Hier kaufen die Mineros üblicherweise ihre Arbeitsutensilien ein – heute tun auch wir das für sie, um sie zu unterstützen. Potosí ist die einzige Stadt der Welt, so meint Antonio launig, in der man auf der Straße legal Dynamit kaufen kann...hm!...wer möchte kauft nun ein Geschenkpaket und dann geht’s los zur Mine. Der Kleinbus hält an einem der vielen Löcher am „Cerro Rico“ – mittlerweile gibt es um die 300 davon. Die „goldene“ Zeit ist eigentlich schon seit 1570 vorbei – bis dahin konnte das Gestein direkt eingeschmolzen werden. Seither liegt der Anteil des Silbers bzw. Zinns unter 3 % - seit 1986 und dem Zusammenbruch des Zinnmarktes arbeiten die Mineros auf eigene Faust in den Stollen.

 

Am durchlöcherten Hausberg angekommen, marschieren wir gemeinsam über einen Teil des Areals der Kooperative zum „Einstiegsloch in den Berg“. Wir stehen im Kreis um Antonio und blicken ungläubig in das kleine, dunkle Loch. In mir steigt ein Beklemmungsgefühl hoch und ich bin mir nicht mehr sicher, ob ich das schaffen werde. Der junge, sportliche Franzose hinter mir murmelt „mein Gott“ vor sich hin. Mir ist das ja nicht peinlich, daher frage ich vor allen, ob es denn ein Ausstiegs-Szenario gäbe, wenn man Platzangst bekommt. Antonio versichert, dass das kein Problem wäre, einfach ihm oder der zweiten Begleitperson Bescheid geben und man wird raus gebracht. Gut, das beruhigt mich. Haimo und ein paar andere in der Gruppe denken sich wiederum gar nichts beim Anblick des Eingangs, der auf mich wie ein steiles Mauseloch in die Tiefe wirkt – das ist so klein, ob ich da überhaupt durch passe? Wir bekommen noch ein paar Instruktionen und los geht’s – der erste klettert in die Tiefe, entlang einer Hühnerleiter. Als ich selbst dran bin, sehe ich weder wohin ich steige, noch wie es am Ende der Leiter aussieht.

 

Irgendwann gewöhnen sich die Augen an die staubige, muffige Dunkelheit und man kommt am Ende der Hühnerleiter an. Dies ist für uns die erste Ebene. Je größer man in diesen niedrigen Gängen ist, desto größer ist der Nachteil. Man bewegt sich gebückt fort und wenn man über 1,80 ist muss man bei der Bewegung auch noch in die Knie gehen. Der voluminöse Geschenkrucksack am Rücken tut sein übriges. Bis alle auf unserer ersten Ebene angekommen sind dauert es und die Wartenden hocken und knien, stehen kann hier niemand, nur Antonio. In der folgenden Stunde unter der Erde, klettern, kriechen und stolpern wir 4 von insgesamt 12 Ebenen in die Tiefe. Die Verbindung der einzelnen Ebenen sind quasi Löcher, durch die man in die Tiefe bzw. Höhe robbt – beim Anblick des ersten dieser engen Löcher verabschiedet sich der Franzose. Beim Gedanken, ob ich mich gleich anschließen soll, schließe ich meine Augen und robbe weiter – genau wie bei der Computertomographie, wenn ich die Augen zu lasse und die Abmessungen der engen Röhre nicht sehe, schaffe ich das Prozedere.

 

Am Weg durch die 4 Ebenen müssen wir schon mal laufen, um den Eisencontainern auf Schienen zu weichen, uns ducken, wenn gesprengt wird und wir können ein bisschen in den „Schrein-Höhlen“ verschnaufen, hier finden alle Platz und wir sitzen um eine der vielen Figuren, die angebetet werden und lauschen Antonios Ausführungen. So interessant der Ausflug ist und so demütig und dankbar man wieder zurückkehrt – der schönste Moment ist, wenn man das Sonnenlicht wieder erblickt. Eine Stunde, die sich wie ein ganzer Tag angefühlt hat, ohne Raum- und Zeitgefühl in Dunkelheit und Staub. Ein bisschen sind wir alle stolz, dass wir in 4.200 Höhenmetern diese Anstrengung geschafft haben.

 

 

Nach einer kleinen Stärkung marschieren wir wieder zurück zum unwirtlichen Parkplatz und machen uns startklar. Nun ist auch tatsächlich die Stunde des Abschieds für uns gekommen und wir herzen Lisa und Koni nochmal und versprechen uns gegenseitig, dass wir uns melden, sollten wir das Land des anderen besuchen. Danach geht’s dann raus aus Potosí in die Natur, damit Gizmo endlich mal seine Pfoten vertreten kann.

 

Die Nacht am Berg gegenüber des Cerro Potosí, zwischen Lamas und Weiden, ist ruhig – wir freuen uns schon sehr auf unser nächstes Ziel – Uyuni. Endlich geht es Richtung Lagunenroute und den berühmten Salar de Uyuni.

 


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