Machu Picchu


Am 11. Jänner 2019 läutet unser Wecker um 2.45 Uhr morgens – Gizmo schaut uns ungläubig an,
grunzt und dreht sich um. Um ehrlich zu sein, irgendwie würden wir das auch gerne tun – aber
natürlich – wir quälen uns aus dem Bett – heute ist unser Machu Picchu Tag. Haimo geht eine
größere Runde und nachdem wir uns fertig gemacht haben, eine zweite kleine Runde mit Gizmo.
Frühstück bekommt er nur ein kleines, er soll ja durchhalten, bis wir wieder da sind. Wir verzichten
vorerst auf ein Frühstück – zu früh für uns – für alle Fälle haben wir eine Jause vorbereitet.


Als wir um 3.30 Uhr losgehen rechnen wir nochmal nach: Laut Auskunft an der Station der
Hidroelectrica geht von Aguas Calientes ein Zug zurück hierher um 15.30 und einer um 18.00.
Unser Zeitfenster in Machu Picchu endet um 14.00, also müssten wir den Zug um 15.30 erwischen.
Gizmo wäre dann 12 bis 13 Stunden alleine, das ist normalerweise kein Problem für ihn. Er hat es
hier ruhig und kann gemütlich ausschlafen heute.


Wir stapfen los bei völliger Dunkelheit durch den Urwald – ein bisschen unheimlich ist es schon.
Einige haben von Schlangen gesprochen, die von Bäumen hängen könnten – dieser Gedanke gefällt mir gar nicht. Es beginnt zu regnen – das gefällt uns noch weniger. Verdammt – bereits nass sein, bevor wir überhaupt in Aguas Calientes angekommen sind, das brauchen wir gar nicht. Ich habe meine schwere Kameraausrüstung dabei – gut verpackt in einem hoffentlich noch wasserdichten Wander-Rucksack und unter einem Einweg-Poncho, den ich über Funktionskleidung und Rucksack trage. Wir wandern also 3 Stunden im strömenden Regen und bei Dunkelheit auf den Gleisen nach Aguas Calientes. Der Weg führt durch dichten Urwald und über Eisenbahnbrücken – die man auf den Schienen bzw. Querbalken balancierend überquert – unter uns tosende Bäche und Flüsse – für diese Überquerungen muss ich mich ziemlich zusammenreißen. Haimo hat zum Glück kein Problem damit.


Ziemlich genau 3 Stunden später kommen wir in Aguas Calientes an. Wie manche diese Strecke in
angeblich in 1,5 bis 2 Stunden (gaanz locker) schaffen, ist uns nicht klar. Man muss doch genau
schauen, wo man hintritt und sieht bei strömenden Regen trotz guter Stirnlampen nicht viel. Aber
egal – wir sind da – es ist 7.00. Wir sollten um 8.00 oben am Eingang zu Machu Picchu sein –
müssen aber noch ein Busticket kaufen und uns für unseren Bus anstellen. Das System ist wieder
einmal typisch südamerikanisch – das Prozedere für das Busticket nach oben komplizierter und
langwieriger als die Tickets für den Eintritt nach Machu Picchu. Man stellt sich in eine ungefähr 80
Meter lange Warteschlange nur für ein simples Busticket an. Danach stellt man sich in die richtige
Busschlange, denn jeder darf nur zu gewissen Zeiten – passend zum Zeitfenster am Berg – hoch
fahren. Hier warten und warten wir. Irgendwann realisieren wir, dass gar keine Busse mehr abfahren und irgendwann geht sowas wie eine „Stille Post“ Nachricht durch die Reihen, dass angeblich Teile des Hangs runtergekommen seien – der Weg nach Machu Picchu ist versperrt. Ich schlucke – bitte nicht – wir haben uns so gefreut – das kann jetzt nicht sein. Noch ein wenig später geht wer durch, der den spanisch sprechenden Touristen (zumindest) Informationen gibt und so erfahren wir, dass man an der Behebung des Problems arbeiten würde und die Zeitfenster nicht mehr gültig wären. Wir würden unsere Zeit bekommen, egal wann wir oben ankommen. Heißt im Klartext – dass sich mehr Menschenmassen zur gleichen Zeit am Gelände befinden werden. Nix mit unserem Plan, durch das frühere Zeitfenster früher oben zu sein. Wir sind enttäuscht. Neben uns steht ein Paar aus Ohio – mit den beiden kommen wir ins Gespräch und sind somit für die nächsten Stunden des Wartens abgelenkt. Das Wetter hat sich ja mit Ankunft in Aguas Calientes abrupt geändert und wir trocknen uns bei strahlendem Sonnenschein. Um 10.30 kommt Bewegung in die Menge – die ersten Busse kommen runter vom Berg und beginnen die wartenden Menschenmassen nach oben zu transportieren. Welch Glück hatten die wenigen, die die ersten beiden Busse erwischt hatten – für Stunden alleine auf dem gesamten Gelände – wir sind – zugegebenermaßen – sehr neidisch.


Wir rechnen nach: Unser Zeitfenster mit Besteigung des Wayna Picchu und Besichtigung von
Machu Picchu hat sich bis zur Schließung des Geländes wohl auf 17.00 verschoben. Im Klartext
bedeutet das: Gizmo wird mindestens (je nachdem ob wir den Zug um 18.00 erwischen) zwischen
15 und 17 Stunden alleine sein. Wir bekommen die Krise und ein noch schlechteres Gewissen, als
wir eh schon haben.


Die atemberaubende Fahrt nach oben lenkt uns etwas ab. Die tolle Aussicht wechselt sich mit
dicken Nebelschwaden ab. Nicht bestellt, aber dennoch, fängt es wieder zu regnen an, als wir den
Bus verlassen und Machu Picchu betreten – das kann doch bitte nicht wahr sein – ich kämpfe mit
den Tränen. Beim Scannen der Tickets erklärt man uns, dass wir sofort – vor allem anderen – auf
den Wayna Picchu müssten. Pff – ok – geht ja nichts über gutes Ankommen. Wir trotten zum
Check-in und tragen uns ins Bergbuch ein, dann geht’s los. Machu Picchu befindet sich auf einer
Höhe von 2.470 bis 2.530 Höhenmetern – Wayna Picchu überragt die Stadt um ca. 300 Höhenmeter. Im strömenden Schüttregen wandern wir los – die Menschenmassen vor uns schauen von unten aus wie eine Ameisenstraße nach oben. Den Wayna Picchu kann man sich quasi wie eine Felsnadel, vorstellen, in die die Inkas Stufen aus Stein gehauen haben – soweit so gut – leider sind diese nicht nur unregelmäßig hoch (teilweise bis zu 50 cm), sondern auch verschieden breit (teilweise nur „Barbieschuhgröße“). Bei Gewitter und Starkregen quälen wir uns den steilen – teils senkrechten und extrem rutschigen Weg hoch. Der Pfad ist so schmal, dass man bei „Gegenverkehr“ der zweiten Person Platz machen und sich an den Felsen drücken muss oder - sofern Platz – zur nächsten Ausweiche steigen muss! Die ca. 600 Stufen der „Titanleiter“ führen fast senkrecht nach oben, kurz vor dem Gipfel klettert man auf allen Vieren durch einen engen Felstunnel. Der Autor unseres Reiseführers meint so hoffnungsvoll, man würde für diese Schinderei mit einem atemberaubenden Ausblick runter auf Machu Picchu belohnt werden. Denkste! Dicker Nebel verwehrt uns jegliche Aussicht – wir sehen teilweise die Hand vor Augen nicht. Die Enttäuschung macht sich breit. Es regnet so stark, dass man unter normalen Umstände die Kamera nicht raus nehmen würde. Als wir dann endlich oben angekommen sind, kommt Bewegung in die Nebelschwaden und immer wieder kann man ganz kurz einen kleinen Blick auf Machu Picchu erhaschen. Ich riskiere es, packe die Kamera aus und schieße ein paar Fotos – Haimo hält seine Kappe als Schutz darüber – dennoch wird alles tropfend nass – aber was solls, vermutlich wird dies unser einziges Mal in Machu Picchu sein!! Danach kommt das unvermeidliche: der steile, rutschige Abstieg. Ich selbst rutsche mehrmals gefährlich aus – trotz gutem Schuhwerks – viele „Mit-Touristen“ sind weder von der Ausrüstung gut vorbereitet, noch von dem, was sie hier erwartet. Einige sind nicht schwindelfrei und müssen eng an den Fels geklammert von anderen Personen runter begleitet werden – versperren somit allen anderen den Weg. Wieder andere werden von ihrer Gruppe im Stich gelassen (geht gar nicht – Bergregel Nr 1: niemals lässt man einen Kamerad zurück!!!) – wir nehmen uns eines Mädchens aus Japan an.


Nach 2 Stunden und 15 Minuten sind wir wieder unten angekommen und tragen uns wieder aus
dem Bergbuch aus – wir glauben gerne, dass es schon Abstürze und Verirrte hier gegeben hat. Im
Prinzip wird jeder, bei absolut jedem Wetter, egal in welcher konditionellen Verfassung bzw.
Ausrüstung sich selbst überlassen!!! Wir sind zwar alpines Gelände gewohnt, aber wir würden den
heutigen Aufstieg bei Starkregen, Gewitter und den Menschenmassen definitiv als Plackerei
bezeichnen und sind froh, heil wieder unten angekommen zu sein.


Unser Rundgang in Machu Picchu geht los. Immer noch schüttet es, was das Zeug hält. Eine
enorme Menschenmasse bevölkert den „Hügel Machu Picchu“. Immerhin – ein bunter Anblick im
Regen – die Verkäufer der Einweg-Ponchos haben heute wieder ein gutes Geschäft gemacht. Wir
marschieren mal hoch zum „Haus des Wärters“ - dies war der Platz des Wachpostens. Jeder
Besucher Machu Picchus kann vermutlich ein Foto dieses berühmten Aussichtspunktes vorweisen –
man hat hier den besten Ausblick über die Inka-Stadt – hier endet auch der Inka Nan (Inka-Weg).
Man sieht unter sich die vielen bunten Ameisen in ihren Regen-Ponchos, die gesamte Stadt und ihre Umgebung. Und wenn es nicht gerade dichten Nebel aufgrund von Schlechtwetter hat, so sieht man über der Stadt – also gegenüber – den Wayna Picchu aufragen, die von Urwald bewachsenen Berge und die Urubamba Schlucht. Wir wollen hier warten, um wenigstens ein einziges schönes
Erinnerungsfoto zu haben – nach wie vor macht sich dichter Nebel breit – viele Besucher haben
schon aufgegeben und fahren bei diesem üblen Wetter schon eher nach unten. Auch wir überlegen,
aufzugeben, lieber noch einmal wieder zu kommen. Wir könnten in der Nähe bleiben und es
morgen oder übermorgen noch einmal probieren. Aber Gizmo wieder alleine lassen? Wieder die 3
Stunden Fußmarsch hin- und retour? Haimo überredet mich, doch den heutigen Tag bis zum bitteren Ende auszunutzen. Wenn es bis 17.00 nicht zu regnen aufhört und wir tatsächlich die Besichtigung von Machu Picchu wirklich nicht fortsetzen können, dann könnten wir ja immer noch über einen zweiten Termin nachdenken. Na gut – wir bleiben, obwohl der Wachmann neben uns schon den Kopf schüttelt und meint, dass wir heute keine Chance mehr auf einen guten Ausblick hätten. Mit uns wartet eine Gruppe junger Leute aus Chile – auch sie wollen nicht aufgeben, ehe der Blick auf Wayna Picchu frei wird. Die anderen Besucher scheinen nicht so einen eisernen Durchhalte-Willen zu haben – zum Glück für uns hier – das Gelände leert sich – fast keine bunten Ameisen mehr zu sehen da unten. Und während sich ein großes, stolzes, ja fast majestätisch wirkendes Lama zu uns gesellt und ebenfalls die Aussicht genießt, kämpfen sich die ersten Sonnenstrahlen durch – langsam steigen die dichten Nebelschwaden auf – Teile des Wayna Picchu sind zu erkennen. Unsere kleine, verbliebene Gruppe jubelt. Die Sonne strahlt auf die vom Regen nasse Natur – das Grün leuchtet unwirklich und die verbleibenden Nebelschwaden hängen mystisch zwischen den alten Gebäuden und den Bergen. Wir fotografieren und freuen uns. Es ist 16.30– es bleibt Zeit, endlich schnell einen Rundgang über das magische Machu Picchu zu machen. Alleine spazieren über diesen unglaublichen Ort. Natürlich kann man über die Menschen (wie uns) lästern, die „angeblich“ die besondere Energie hier verspüren, natürlich ist es schwer, diese zu fühlen bei all dem touristischen Ansturm. Aber ich denke, jeder, der sich gerne in den Bergen aufhält und ein besonderes Gefühl verspürt, beim Erklimmen eines Gipfels und dem atemberaubenden Ausblick, der kann diese Erfahrung mit uns teilen. Unbestritten ist das hier ein ganz besonderer Ort mit einer ganz besonderen Aura.


Um kurz vor 17.00 ist es dann soweit, wir müssen gehen. Wachleute mit Trillerpfeifen scheuchen
die Herde zusammen und treiben die letzten, hartnäckigen Besucher vom Gelände. Um 17.30 hat
uns das (zumindest für uns) magische und besondere Machu Picchu unsanft ausgespuckt. Die
Realität hat uns wieder – und das schlechte Gewissen. Schnell wissen wir, dass der 18.00 Uhr Zug
heute doch nicht fahren wird – ein gängiges Phänomen in Südamerika – wir kennen es, aber heute
passt es uns so gar nicht in den Kram. Also bedeutet das, dass wir nun 3 Stunden auf den
Bahngleisen wieder retour wandern müssen. Wir haben den ganzen Tag über nur 1 Brot gegessen
(am Hinweg) – in Machu Picchu darf man nichts konsumieren – verboten! Eine Touristin aus
Argentinien hat heimlich einen Schokoriegel mit uns geteilt. Bevor wir losgehen, müssen wir
definitiv noch etwas essen und trinken – tun wir hastig – in einer französischen Boulangerie (ja –
richtig!).


Als wir unseren Rückweg antreten wird es bereits dunkel. Um ehrlich zu sein, wir hätten heute
eigentlich schon genug von körperlicher Betätigung, aber wir müssen so schnell wie möglich
zurück zum armen Gizmo. Als wir 3 Stunden später am Zebra ankommen, sind wir ziemlich
erledigt – wir haben Rückenschmerzen vom Tragen der Rucksäcke, die Kameraausrüstung tut ihr
übriges. Als wir die Türe öffnen schauen wir in die verschlafenen Augen unseres Buben. Die
Wasserschüssel ist kaum berührt – er ist entspannt nach seinem Faulenzertag, aber die
Wiedersehensfreude ist groß. Wir herzen unseren Gizmo und er vor allem uns und gehen dann eine
schöne Runde mit ihm. Zur Feier des doch noch erfolgreichen Tages trinken wir gemeinsam ein
Bier (also – nur die Menschen) und fallen dann todmüde ins Bett.


Unser Resümee zu Machu Picchu: Klar – schwer touristisch. Neben dem Wunsch, dort unbedingt
hin zukommen schwingt die Besorgnis mit, wie lange diese Stätte wohl noch zu besuchen ist und
welchen Anteil der eigene Besuch dabei hat. Die Erschütterungen, die die vielen Menschen
erzeugen, sollen bereits die Substanz der Gebäude empfindlich angegriffen haben. Einige Bereiche
der Anlage dürfen jetzt schon nicht mehr betreten werden. Wir finden, dass dieser Ort absolut
einzigartig ist und deswegen alleine schon sehenswert. Es ist schwer, die anderen Touristen
auszublenden und seinen Besuch zu genießen – und wir sind nicht mal in der Hochsaison
unterwegs. Wer also die Möglichkeit hat, sollte sein Zeitfenster ganz früh oder ganz spät buchen
und bei Schönwetter ist Wayna Picchu definitiv empfehlenswert. Wer mit Menschenmassen nicht
zurechtkommt, sollte diesen Ort wohl eher meiden. Die komplette Organisation, sowohl Transport
als auch Ticketverkauf, obliegt einer chilenischen Firma. Dementsprechend ist die Organisation
ziemlich strukturiert, aber es ärgert die Einheimischen, dass 75% der Besuchereinnahmen von
Machu Picchu – ihrem Nationalheiligtum – direkt ins Ausland fließen und dem peruanischen Staat
gar nichts bringen – so berichten zumindest einige Peruaner. Frustriert es ja schon, dass der Großteil der in Machu Picchu unter der Expeditionsleitung von Hiram Bingham gefundenen Artefakte immer noch von der Yale University (USA) unter Verschluss gehalten werden.


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