Vinicunca – Der Regenbogenberg


Am 16. Jänner verlassen wir Pisaq und damit auch das heilige Tal. Da es sich zeitlich noch ausgeht
vor meinem zweiwöchigen „Heimaturlaub“ werden wir die berühmten „bunten Berge“ gleich jetzt
besichtigen. Zu unserem Erstaunen werden sie im bekanntesten deutschen Reiseführer für
individuelles Reisen nicht einmal erwähnt – aber zum Glück hat man ja eine Freundin, die lange mit einem Peruaner liiert war!


Die Anfahrt zu den bunten Bergen ist erstmal unspektakulär – theoretisch – nicht jedoch, wenn man zu einem eben passierten, schweren Unfall kommt. Erstmal sehen wir nicht viel: 2 ineinander
verkeilte Fahrzeuge (1 LKW mit 4 Pferden beladen und ein überladener Minibus) sowie die
dazugehörigen Insassen auf der Straße stehend im Regen auf ca. 3.500 Höhenmetern. Die vor allem anwesenden Herren zeigen keine Anzeichen uns in irgendeiner Art und Weise eine Information zukommen zu lassen – der Weg ist versperrt – wir kommen nicht weiter. Wir warten eine Weile im Auto, schließlich steigt Haimo aus und geht mal langsam Richtung der beiden Fahrzeuge. Die Männer stehen eher untätig herum und Haimo versteht sie nicht, daher schaut er mal in den Minibus. Hinter dem Steuer sitzt der eingeklemmte Lenker – der Motorblock hat sich durch den Aufprall mit der Lenksäule in den Innenraum verschoben und den Mann eingeklemmt – um ehrlich zu sein, es sieht für das linke Bein nicht gut aus. Aus dem Ohr blutet er – das nächste unheilvolle Indiz. Haimo kommt wieder zurück zum Zebra und bittet mich, mit den indigenen Männern zu sprechen. Wie befürchtet ist dieses Unterfangen zum Scheitern verurteilt: Zum einen bin ich weiß und noch viel schlimmer: eine Frau. Man macht also keinen Hehl daraus, dass man mit mir nicht kommunizieren will. Dazu kommt, dass die indigene Bevölkerung ihre Dinge selbst regelt und in dem Fall sieht es dann doch so aus, als hätte der Fahrer des Colectivos die Kurve mit erhöhter Geschwindigkeit geschnitten – somit ist er Schuld. Und die Schuldfrage bzw die Bestrafung klärt man so mancherorts in Peru noch gerne selbst (in dem Fall durch Nichts-Tun) . Da Haimo als Mitglied des Roten Kreuzes aber im Helfer Team mitspielt und ich durch meine angeborene Hartnäckigkeit die Sache auch so nicht auf sich beruhen lassen will bleiben wir lästig. Nach einiger Zeit des Hilfe-Aufdrängens sind sie damit einverstanden unsere offerierte Brechstange
anzunehmen, um zu versuchen das verbogene Metall mit Menschenkraft auseinander zu bekommen. Es gibt ohnehin keinen Mobilfunk Empfang hier und die Bomberos rücken hier in den
Bergen nicht wegen „so etwas“ aus – erklärt man uns. Meine Versuche den Männern zu erklären,
dass wir helfen könnten, Haimo ist ja Rettungssanitäter, werden ignoriert. Man will keine Hilfe.
Derweil regnet es immer stärker. Die Pferde im LKW, mit dem der Minibus verkeilt ist, werden
nervös. Sie stehen einfach auf der Ladefläche – richtige Tieranhänger benutzt man hier nicht. Nun
bemerke ich ein kleines, hübsches indigenes Mädchen am Straßenrand – sie scheint allein zu sein –
Eltern kann ich nicht ausmachen. Ich spreche sie an und frage sie, ob es ihr gut geht. Sie bricht in
Tränen aus, beginnt zu zittern und deutet auf ihren Kopf – ich kann keine Wunde ausmachen. Ich
nehme sie mal in den Arm und sehe mich weiter um – keine Erwachsenen, die sich zugehörig
fühlen. Kurzerhand nehme ich sie mit ins Zebra und stelle ihr Gizmo vor. Die beiden verstehen sich
gut und beim Schmusen mit kleinen Kindern ist unser Kraftpaket ja sowieso immer erstaunlich
vorsichtig und lieb – somit kann ich Haimo helfen. Die 6 Männer zerren noch immer am Fahrzeug
und versuchen das Metall auseinander zu biegen. Plötzlich spricht uns eine junge Peruanerin an –
sie ist aus Lima und hat eine Privatschule besucht – daher ihr tolles Englisch. Auch sie bekommt
von den Männern kein Gehör, als der Mann schließlich freigelegt ist. Nun treten alle einen Schritt
zurück und stellen ihre Hilfe ein. Rauskommen soll der verletzte Fahrer des Minibusses (durch ein
Wunder?) nun selbst. Haimo eilt dem Mann nun zur Hilfe und es braucht einige Zeit ihn zu
überzeugen, diese anzunehmen. Wenig später steht er vor seinem Fahrzeug auf einem Bein, Haimo
stößt er nun unsanft von sich und die von uns vorbereitete Wärmedecke wird im wahrsten Sinne mit Füßen getreten. Dass sich der Mann weigert, sich von Haimo kurz das verletzte Bein untersuchen zu lassen ist wohl müßig zu erwähnen – immerhin ist sein zweites Bein noch dran. Mittlerweile ist auch die Polizei angekommen – auf Haimo´s Drängen wird der Mann dann von den Polizisten zum Arzt gebracht. Und siehe da, plötzlich steht eine Indigena im traditionellen Gewand vor mir, deren Tochter scheint das kleinen Mädchen in unserem Fahrzeug zu sein. Sie hat sich im Regen lieber im LKW aufgewärmt – ohne ihre kleine Tochter, die nicht nur einen Schock vom Unfall an sich erlitten hat, sondern auch noch mitansehen musste, wie ein blutverschmierter Mann aus einem Auto geborgen wurde. Debra aus Lima entschuldigt sich irgendwie für ihre Landsleute und meint, die Indigenas wären so, sie würden ja nicht nur die Hilfe von uns (Gringos) ablehnen – jeder, der nicht zu ihrer Gemeinschaft gehört, wird abgelehnt. Kulturelle Unterschiede hin, Gringos her – in unserer Welt wird es wohl für immer unverständlich sein, dass eine Mutter sich nicht um ihre kleine Tochter kümmert und lieber alleine im Trockenen sitzen bleibt.

 

Um Stunden verspätet aber doch, kommen wir schließlich gegen Abend am Parkplatz des
Wanderpfades zu den bunten Bergen an. Hier gibt es nicht viel – eine kleine Mini-Mercado-Hütte,
ein WC und zur Saison kann man sich einen Unterstand zum Schlafen mieten. Heute regnet es und
niemand ist da – außer uns. Wir igeln uns im Zebra ein, da es schon empfindlich kalt wird. Aktuell
befinden wir uns auf ca. 4.500 Höhenmetern – unsere Diesel-Heizung und unser Diesel-Kocher
funktionieren zu unserer Freude immer noch in diesen Höhen, obwohl die Hersteller selbst
gegenteilige Aussagen treffen. Unser Back-up – die Gasheizung – hat bis jetzt nichts zu arbeiten
gehabt.


Der nächste Morgen beginnt mal trüb und wir machen uns keinen Stress. So oder so – für die
bunten Berge brauchen wir eine halbwegs klare Sicht. Um 9.30, als wir gerade los wollen, bleiben
Ilka und Holger aus Deutschland nochmal stehen, die gestern auch spät hier angekommen waren.
Die beiden sind schon sehr früh Richtung bunte Berge am Weg gewesen und wollen jetzt weiter.
Wir tauschen noch Kontakte, denn die beiden sind Berchtesgaden- und Salzburgfans und halten sich im Sommer daher ohnehin in der Nähe auf. Als wir uns verabschieden voneinander ist es bereits 11.00 Uhr.


Wir zahlen unseren Wegzoll – auch wandern ist in Peru nicht kostenlos. Parallel zu den Wanderern
werden Konditionsschwache und Touristen, die die Höhe nicht vertragen mit den Pferden nach oben
transportiert. Das Tal hin zum Aussichtspunkt der bunten Berge ist wunderschön und erinnert uns
fast ein bisschen an Island. Bei unserem gemütlichen Tempo können wir die Aussicht gut genießen
– es sind zwar nur 500 Höhenmeter (bis auf 5.030m), aber die haben es in sich. Obwohl wir gut
akklimatisiert sind, können wir unser „normales“ Wandertempo in dieser Höhe vergessen. Auch
Gizmo spürt die Höhe und verringert dann doch irgendwann sein Tempo und teilt sich seine Kraft
ein. Trotz unseres Schleichgangs kommen wir dann doch irgendwann am Aussichtspunkt bei den
bunten Bergen an. Nachdem wir den zweiten Trupp, der nochmal den gleichen Wegzoll verlangt
erfolgreich abgewehrt haben können wir uns der unglaublichen, bunten Aussicht zuwenden.
Obwohl Wind und Wetter nicht ideal sind, können wir immer wieder einen guten Blick auf diese
unglaubliche Aussicht erhaschen – es sind tatsächlich bunte Berge – also so richtig bunt. Gestreift
bunt. Von pink bis grün alles dabei. In unserer Welt gibt es so etwas nicht. Wir staunen und staunen. Das schlechte Wetter wird in den folgenden 40 Minuten noch schlechter und wir frieren sehr – mit Besorgnis sehen wir die Regenfront, die auf uns zukommt. Da wir keine Lust haben noch mehr zu frieren und ich schon in Machu Picchu meiner Kameraausrüstung genügend zugemutet habe, beschließen wir den Rückweg anzutreten.


Auch diese Nacht lagern wir wieder am Parkplatz und wollen morgen dann retour nach Cusco.


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